Hierzu ist es sinnvoll zunächst ein Blick auf die Process Analytics Factory sowie deren Produkt, die Process Mining-Software PAFnow, zuwerfen. Das Unternehmen wurde 2014 von Tobias Rother gegründet. Rother hatte bis dahin bereits Erfahrung im Markt für Process Mining als COO und Co-Founder des Start-Ups Process Gold sammeln können. Nachdem dieses von UI Path übernommen wurde, konnte er sich voll auf sein neues Unternehmen PAF konzentrieren. Dieses hat sich in den letzten acht Jahren zu einem relevanten Player im Process Mining-Markt entwickelt. Die Process Mining-Factory beschäftigte zuletzt rund 40 Mitarbeiter, welche sich auf das Hauptquartier in Darmstadt und eine Zweigstelle in Michigan (USA) aufteilten.
Die Mission dieser 40 Mitarbeiter besteht laut eigenen Angaben darin, Process Mining zu revolutionieren und zu demokratisieren. Dieses Ziel soll mittels der hauseigenen Process Mining-Software PAFnow erreicht werden. PAFnow zählte dabei bisher eher zu den Herausforderern der Platzhirsche Celonis, Software AG und UIPath. Die Software verfolgt jedoch einen interessanten Ansatz, welcher bereits namhafte Kunden wie MAN, Merck und Daimler von sich überzeugen konnte.
PAFnow setzt Process Mining laut eigener Aussage „dort ein, wo es hingehört“. Und zwar in der bestehenden Business Intelligence-Infrastrukur der Kundenunternehmen – dort wo die Kunden bereits arbeiten. Process Mining findet hier eingebettet in Microsoft Power BI, implementiert in Microsoft Power Platform und integriert in Microsoft 365 statt. Für Nutzer von Power BI ist die Nutzung von PAFnow außerdem kostenfrei, wodurch die Nutzungshürde von komplizierten Einkaufsprozessen geschickt umgangen wird.
Durch diese einseitige Ausrichtung auf Microsoft-Nutzer scheint sich PAF unnötig zu beschränken. Angesichts der Tatsache, dass 260.000 Unternehmen weltweit und 97% der Fortune 500 Microsoft-Kunden sind, klingt diese vermeintliche Einschränkung jedoch eher wie eine kluge Fokussierung. Und diese Klugheit blieb auch den Entscheidern von Celonis nicht verborgen, welche mit der Kombination des eigenen EMS und PAFnow genau in diesen Markt expandieren wollen. Celonis hatte selbst lange eine enge Bindung an SAP, welche durch die Akquisition nun endgültig abgeschüttelt werden konnte. Durch den Zukauf soll die Zugänglichkeit des Celonis EMS für Microsoft-Nutzer enorm verbessert werden. So ist die Anzahl der Nutzer von Power Platform Front-Ends in den Kundenunternehmen um ein Vielfaches höher als die Zahl der Spezialisten, die direkt in der Execution Management Software von Celonis arbeiten.
Doch nicht nur für Celonis ist dieser Aspekt von Bedeutung. Auch für die Nutzer von PAFnow ergibt sich eine starke User Experience. Die Anwender schätzen die Möglichkeit der nativen Einbindung in Power BI und Power Platform, welche einen raschen Einsatz der Software ermöglicht. So kann in kürzester Zeit eine Kombination aus BI und Process Mining verwirklicht werden, welche auch die Erstellung von BI Dashboards ermöglicht. Dies ist deshalb von Vorteil, da der Großteil der Kunden an simplen KPIs und Einsichten interessiert ist. Wenn dabei Probleme identifiziert werden, kann man schnell eine tiefergehende Analyse fahren. Diese wird dann auf unterschiedlichen Report Pages dargestellt, welche wir nun genauer betrachten wollen.
Das Zentrum und den Startpunkt einer Analyse stellt die Discovery Page dar. Sie bietet einen Blick auf jede Variante des analysierten Prozesses, bevor ein tieferer Einblick initiiert werden kann. Dieser kann beispielsweise auf der Variants Page erfolgen. Auf der können dann einzelne Pfade des Prozessablaufs betrachtet und bezüglich ihrer Leistung evaluiert werden. Mit der Seite Prozessschritte kann dann untersucht werden, wieso gewisse Steps in einem Prozess durchlaufen werden und in einem anderen nicht.
Weitere Aufschlüsse kann die Monitoring Page liefern, wo die wichtigsten KPIs dargestellt werden. Anhand dieser können Trends und Entwicklungen abgeleitet werden. Mit der Differenzanalyse hingegen lassen sich unterschiedliche Prozessvarianten, beispielsweise von unterschiedlichen Unternehmenseinheiten, bezüglich verschiedener Kriterien vergleichen. Ergänzen lässt sich dieser Analyseschritt um ein Benchmarking auf der gleichnamigen Seite. Diese enthält verschiedene KPIs welche ein oberflächliches Verständnis über die Performanz der Prozessvarianten ermöglichen. Die detailliertere Prozessanalyse kann anschließend im Process Explorer durchgeführt werden.
Mit der Lead Time Page können Durchlaufzeiten von verschiedenen Prozessvarianten und Fällen betrachtet und analysiert werden. Mit Hilfe des Process Explorers können anschließend Ursachen für Verzögerungen identifiziert werden. Eine dieser Ursachen kann beispielsweise in ineffizienten Wiederholungsschleifen im Realprozess liegen, deren Analyse durch die Loops Page ermöglicht wird. Dabei kann auch eine Ermittlung von Ursachen für die unerwünschten Ineffizienzen mittels statistischer Korrelation erfolgen. Einen weiteren Blick auf Ineffizienzen kann man über den Konformitätscheck werfen. Hier ermöglicht PAFnow den Vergleich des Ist-Prozesses mit dem Zielprozess. Dieser kann entweder per Drag-and-Drop oder automatisch generiert werden. Automation ist auch das Stichwort für die Automation Page. Mit ihr kann analysiert werden, wie weit die betrachteten Prozesse automatisiert sind und wie die Automatisierung die Performance beeinflusst.
Neben der Analyse von Performance und Effizienz lässt sich außerdem die Einhaltung von Richtlinien und Vorgaben mittels der Compliance-Analyse betrachten. Dabei können die einzelnen Prozessschrittsequenzen sowie die Nutzer, welche diese ausführen, untersucht werden. Außerdem kann auf Korrektheit geprüft und zwischen Nutzertypen wie Personen, Robotern oder Systemen unterschieden werden.
Dieser Funktionsumfang kann sich bereits durchaus sehen lassen, auch wenn er nicht komplett mit den großen Namen im Process Mining-Markt mithalten kann. Gerade im Bereich der Prozessautomatisierung sind andere Anbieter schon weiter. Es ist jedoch absehbar, dass sämtliche Funktionen des Celonis EMS bald auch für PAFnow-Nutzer verfügbar werden.
Celonis geht es bei der Akquisition also nicht einfach darum, einen Konkurrenten unschädlich zu machen. Es soll eher eine Bündelung der jeweiligen Stärken erfolgen, die sowohl dem Unternehmen als auch den Kunden nutzt. Dies zeigt sich auch daran, dass die 40 Mitarbeiter von PAFnow zukünftig die Erarbeitung von Lösungen für die Microsoft Power Platform bei Celonis verstärken. So wird beispielsweise der CTO von PAF, Timo Nolle, in Zukunft die Entwicklung der Produktintegration in Microsoft Power BI leiten. Sein Kollege und CEO Tobias Rother wird zukünftig sowohl den Ausbau des Microsoft Centre of Excellence als auch alle Microsoft Power BI-Themen innerhalb von Celonis verantworten. Nolle und Roth werden beispielsweise auch daran arbeiten, dass Kunden das Celonis EMS nahtlos in Microsoft Power BI-Berichte integrieren, mit Microsoft Teams zusammenarbeiten und Flows in Microsoft Power Automate auslösen können.
In Zukunft soll also das gesamte Celonis-Portfolio für Nutzer von PAFnow zur Verfügung stehen. Besonders im Bereich der Prozessoptimierung ist hier ein großer Zuwachs an Funktionen zu erwarten. Es kann beispielsweise künstliche Intelligenz eingesetzt werden, um die Verletzung von KPIs automatisch vorherzusagen und zu diese auch präventiv zu melden. Des Weiteren ermöglicht Celonis den Durchlauf von mehreren Simulationen, Was-wäre-wenn-Analysen und Szenario-Tests, um verschiedene Zukunftssituationen zu beleuchten. Außerdem können Vergleichsanalysen erleichtert durchgeführt werden, da virtuelle Protokolle der simulierten Prozesse gespeichert werden können.
Darüber hinaus kann das Celonis Execution Management-System Prozesse und Aufgaben, die sich für Automation eignen, automatisch identifizieren. Diese können anschließend in den betrachteten Quellsystemen direkt Prozesse optimieren und Ausführungslücken schließen. Hierzu nutzt Celonis ein Repertoire an über 10.000 Automatisierungen aus mehr als 700 Execution Apps, welche sich spielend leicht per Drag-and-Drop kreieren lassen. Dieses Repertoire wird dabei laufend, auch von Drittanbietern, ergänzt und ausgebaut.
Neben dem Nutzen für Celonis, PAF und deren Anwender, lässt die Zusammenarbeit auch einen Schluss auf die längerfristige Strategie von Celonis zu. Es will nicht nur neue Nutzer für Process Mining gewinnen, sondern über SAP, ServiceNow und jetzt auch Microsoft, näher dahin kommen, wo die tatsächliche Arbeit der Kunden stattfindet. Dabei will Celonis eine Art „intelligente Ebene“ unterhalb der zentralen Technologieplattformen für Unternehmen werden, welche über die bloße Gewinnung statischer Daten und Insights hinausgeht.
Außerdem scheint sich Celonis mehr und mehr von der Positionierung als Anbieter von reiner Prozessintelligenz, hin zu einem Anbieter von Automationslösungen zu entwickeln. Dadurch können die Vorteile eines End-to-End-Anbieters verwirklicht werden. Hierbei kann Celonis als eine Art Röntgengerät fungieren, welches Prozessvarianten und Probleme erfassen und betriebliche Telemetriedaten organisieren kann. Der wichtigste Punkt hierbei liegt darin, dass nicht riesige Datenberge angehäuft, sondern wertvolle Erkenntnisse geschaffen werden. Aufbauend darauf werden dann Workflows erstellt und durch Automatisierungen realisiert.
Auf dieser Basis hat sich Celonis als führende Multi Environment-Prozessintelligenzplattform etabliert. Das zukünftige Wachstum wird sich vermutlich stark von der bisherigen Entwicklung unterscheiden, bei der es vor allem um eine enge Integration mit den großen Anbietern von Unternehmenssoftware ging. Das nächste „große Ding“ liegt in der Demonstration von verwertbaren Erkenntnissen und deren Verwirklichung durch Automation. Mit der Akquise von PAF hat Celonis dafür gerade ein weiteres Ökosystem hinzugefügt, in dem es genau dieses Zielverfolgen kann.